Wo kommt das Neue her?

(© Melanie Vogel) Zufallsbegegnungen und Zufallsgespräche sind gerade im Unternehmenskontext wichtig, um Silodenken zu durchbrechen, sich spontan auszutauschen oder aus der Situation heraus Gedankenblitze und Ideen zu generieren. Der Small-Talk an der Kaffeemaschine oder das Treffen beim Mittagessen waren und sind nach wie vor extrem wichtige Anlaufstellen, um glückliche Zufälle (Serendipity) zu befördern, aus denen bahnbrechende Ideen erwachsen können.

Diese zufälligen Touchpoints sind seit März 2020 unterbrochen. Inspiration-Gaps sind die Folge. Diese Kluften können entstehen, weil es in der digitalen Meeting-Welt keine zufälligen, absichtslosen Begegnungen mehr gibt, sondern nur noch geplante Meetings und Konferenzen zu bestimmten Themen mit einer fest umrissenen Gruppe von Menschen, die – technikbedingt – einen klar umrissenen Kommunikationsrahmen einhalten muss. Ein paralleles Sprechen beispielsweise, was oft eine resonante Ideenentwicklung einleitet, ist vor allem in größeren virtuellen Meetings und Konferenzen nicht möglich, da diejenigen, die gerade nicht sprechen, meistens stummgeschaltet sind, um Störgeräusche zu vermeiden.

Eine Kundin beschrieb mir dieses Problem kürzlich wie folgt:

„Es ist kein Problem, den roten Faden zu digitalisieren. Aber der Inspirations-Funke, der im Arbeitsalltag aus menschlichen Zufalls-Begegnungen heraus entsteht, kann einfach nicht elektronisch überspringen.“

Wer sich in hybriden Arbeitswelt daher nicht freiwillig auf anderen Wegen inspirieren lässt, droht in Routinen abzudriften, die langfristig jegliche Kreativität und frische Ideen unterbinden.

Wo kommen neue Ideen her?

Um das potenzielle Ausmaß dieses Problems einordnen zu können, ist es wichtig, die Frage zu beantworten, wo neue Ideen „normalerweise“ herkommen? Wissenschaftler, Innovations-Forscher und Philosophen streiten über diese Fragen schon seit Jahrhunderten. In der Ereignisphilosophie haben sich zwei grundlegende Ansichten durchgesetzt:

Das Neue entsteht außerhalb des Einzelnen und entzieht sich der menschlichen Verfügungsgewalt.

Das Neue entsteht innerhalb der Individuen und zwar durch die kreative Kraft der Ideen.

Völlig klar ist jedoch für beide Verfechter-Gruppen, dass innere oder äußere Ereignisse und Zufälle Barrieren, Muster, Blockaden im Gehirn durchbrechen. Es ist die schon erwähnte Absichtslosigkeit, das Driften auf den Korridoren oder in den Kantinen, die Zufallsbegegnungen mit Frau Meier und Herrn Müller aus den Abteilungen X und Y, die per Flurfunk Infos weitergeben, die einem selbst bis dato noch nicht zu Ohren gekommen sind.

Natürlich entstehen neue Ideen auch außerhalb des Unternehmens. Tatsächlich entsteht die Mehrzahl an Ideen erwiesenermaßen unter der Dusche, beim Joggen oder beim Spaziergang im Wald. Allerdings fällt seit März 2020 und den Einzug von flächendeckendem Homeoffice und hybridem Arbeiten auch hier ein Faktor weg, der mir immer häufiger als echte Frustquelle geschildert wird und eine Professorin vor wenigen Tagen in einem Telefonat prägnant auf den Punkt brachte. Sie sagte:

„Ich weiß überhaupt nicht mehr, womit sich meine Kolleginnen und Kollegen außerhalb meines Fachbereichs mental beschäftigen. Wenn Sie so wollen, fehlen die kreativen und intellektuellen Widerhaken, die bisher meine eigene Inspiration im Alltag beflügelt haben.“

Inspiration durch das Internet selbst?

Insbesondere aus den USA erreichen mich regelmäßig NewsLetter von Universitäten, Forschungseinrichtungen, Zukunftsinstituten und großen Tageszeitungen, über die ich mich außerhalb der deutschen Medienblase versuche, global zu informieren. Auffallend war hier in den ersten Wochen des Lockdowns 2020, dass mehrfach betont wurde, gerade der Lockdown selbst würde Kreativität freisetzen, das virtuelle, kollaborative Arbeiten beflügeln und das Internet sich zu einer wahren Inspirations-Maschine entwickeln.

Doch tatsächlich gab es das alles vor März 2020 auch schon. Neu daran ist ggf. jetzt nur, dass sich an diesem Kreativ-Prozess nun mehr Menschen beteiligen können und wollen – und das ist definitiv eine interessante und wichtige Entwicklung. Schwarm-Kreativität kann das Neue beflügeln und hier wird erst die Zeit zeigen, was diese virtuellen Zufallsbegegnungen an langfristigem positivem Impact für die Gesellschaft bringen.

Wer also digital und hybrid mit dem Zufall spielen und Serendipity befeuern will, braucht mindestens:

eine generelle Idee, was im eigenen Team, in der Abteilung, im Unternehmen, bei Kunden und Lieferanten – gerade durch die Pandemie – an Herausforderungen entstanden ist. Die Lösung lautet hier: Fragen stellen – und zwar so viel und so oft wie möglich.

Kontakte außerhalb des eigenen fachlichen und mentalen Silos. Die Lösung lautet hier: Initiative ergreifen und auch in virtuellen Meetings einen Rahmen schaffen, in dem Small-Talk möglich ist. Außerdem: Fachfremde Menschen zu virtuellen Meetings dazu holen und bewusst auch abteilungsübergreifende Anlaufpunkte schaffen, um so den zufälligen Informationsaustausch zu befeuern.


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